Der Trainingsauftakt bei Werder Bremen ist am 29. Juni, in wenigen Tagen. Am folgenden Sonntag, dem 3. Juli, geht es ins Trainingslager nach Norderney. Mindestens ein neuer Defensivspieler soll dann mit dabei sein. Und der soll unbedingt Sokratis Papastathopoulos heißen.
Ob das klappen wird? Noch ist zwar Zeit, aber sie wird langsam aber sicher knapp. Werder plant zudem noch zusätzlich zu Sokratis mit einer, eventuell sogar zwei Verpflichtungen: einem defensiven Mittelfeldspieler sowie einem weiteren Spieler für die Viererkette, der primär innen zum Einsatz kommen würde. Und die ‘Eventuelle’ der beiden Spieler ist.
Nötig ist vor allem neben dem Innenverteidiger namens Sokratis Ersterer, damit alle Positionen nicht nur kurzfristig sondern auch mittelfristig wieder gut besetzt sind und die Balance somit im Team (wieder) hergestellt ist. Dass es sich dabei um Aleks Ignjovski handelt, ist seit Freitag auch offiziell benannt. Den medizinischen Check hat er bestanden, die Gespräche aber laufen noch und hängen eventuell auch weiterhin an dem finanziellen Volumen, dass der Sokratis-Transfer verschlingen wird.
Werder möchte wieder in höhere Sphären der Tabelle schweben und Pilot Klaus Allofs lenkt das grün-weiße Flugzeug genau Richtung… ja, wohin eigentlich? In wenigen Tagen ist der Treibstoff zu Ende, Hobby-Dramaturg Allofs schwebt weiterhin genüsslich in der Luft und hat bald nur noch zwei Möglichkeiten: eine Punktladung oder eine Bruchlandung.
Dass der griechische Innenverteidiger Sokratis diesen Sommer in Bremen einfliegen wird, darauf deutet alles hin. Meldungen, dass sich Sokratis für Werder entschieden habe gibt es genauso wie die mittlerweile deutlichen Aussagen von Allofs, dass der Spieler nach Bremen wolle. Aufgrund der Besitzverhältnisse bleibt es aber kein leichtes Unterfangen, den Spieler zeitnah nach Bremen zu bekommen. Dabei spielt vor allem das Wort “zeitnah” die größte Rolle. Berater Nikos Klitsidis sprach zuletzt von Anfang Juli als Zeitpunkt, an dem “man mehr wisse”. Zum Beispiel, ob Sokratis dann im Boot nach Norderney sitzt.
Doch auch nach Sokratis und Ignjovski stehen noch Personalien zur Abarbeitung an. Da wäre die Gruppe der Spieler, die den Verein noch verlassen sollen. Der 23jährige Bosnier Said Husejinovic steht auf der Liste ganz oben, brachte letztes Jahr Hertha BSC und dieses Jahr Champions League-Klubs aus der Niederlande sowie Belgien als mögliche neue Arbeitgeber ins Spiel. Passiert ist bis heute nur eines: ‘Huse’ hatte einen schönen, sonnigen Urlaub. Er soll den Verein weiterhin unbedingt verlassen, Anfang Juli könnte es dann auch endgültig so weit sein.
Ein weiterer Abgang wird wohl Marko Futacs sein, der noch ein Gespräch mit Werder abwarten wollte, um zu sehen, wie die Bremer Verantwortlichen mit ihm planen. Der 21jährige Stürmer hatte kein gutes Leihjahr beim FC Ingolstadt, machte aber beim Junioren-Turnier in Toulon auf sich aufmerksam und hat laut eigener Aussage eine Option in der niederländischen Eredivisie sowie der zweiten englischen Liga. Ein Verkauf ist genauso wie ein weiteres Leihgeschäft möglich.
Weitere Abgangskandidaten sind Christian Vander, der lange mit einer Schambeinverletzung ausfiel und zuletzt nur noch bei der U23 zum Einsatz kam. Dort ist aber Felix Wiedwald als Nummer eins geplant und den Rang bei den Profis hat ihm mittlerweile Sebastian Mielitz komplett abgelaufen. Klaus Allofs ließ daher schon durchblicken, dass er bei einem Angebot gehen kann.
Das dürfte wohl auch Offensivspieler Kevin Schindler. Nach drei Leihstationen, zwei Verletzungen und zuletzt zehn U23-Einsätzen ist der mittlerweile 23jährige im offensiven Mittelfeld von diversen anderen Spielern überholt worden, im Sturm gibt es bei den Profis bessere Optionen, in der U23 lechzen jüngere Talente nach Spielzeit. Hinzu kommt, dass die U23 noch einen weiteren Stürmer auf der Wunschliste hat und Schindler ab der kommenden Saison als einer von drei erlaubten Ü23-Spielern gelten würde. Allein dies spricht für einen Abgang, wohl endgültigen. Was auch dann nicht unwahrscheinlich bleibt, wenn Schindler in der Vorbereitung überzeugen sollte und die U23 einen Stürmer holt, der die Ü23-Quote nicht belastet.
Bei allen genannten Spielern läuft der Vertrag übrigens noch bis Sommer 2012. Auch bei dem der in die genannte sowie folgende Gruppe passt: Markus Rosenberg. Er soll gehen, er darf gehen und er wird wohl auch gehen. Aber wie im Vorjahr erst Ende August, was eigentlich die Gründe darin hatte, dass ‘Rosi’ noch kein passendes Angebot hatte, wobei “passend” für ihn vor allem eine gute Liga wie die Primera Division oder die Bundesliga meint. Angebote aus der Türkei oder Griechenland hat er wie letztes Jahr, aber er hat auch wie letztes Jahr keine Lust, dort zu spielen.
Bis vor wenigen Tagen war die Wartezeit noch nicht positiv für Werder, da man den Erlös am Besten sofort hätte, um flexibler in den Verhandlungen um Ignjovski und Sokratis zu sein. Durch die Verletzung von Claudio Pizarro hingegen kann man froh sein, dass Rosi noch einige Wochen hier ist, wenn kein zu gutes Angebot vorher eintrudelt. Der temporäre Pizza-Ersatz ist mit dem 28jährigen Schweden somit bereits vor Ort.
Die weiteren Kann-Gehen-Kandidaten sind bekannt: Tim Wiese und Per Mertesacker. Wiese hat zuletzt mal wieder über sein Haus- und Hofblatt SportBild durchblicken lassen, dass er gerne bleiben würde, aber noch kein Angebot dazu von Werder hat. In den Gesprächen scheint man sich finanziell nicht nah zu sein – oder Werder spekuliert vorerst darauf, dass man ihn noch vor Transferschluss verkaufen kann. Der Vertrag von Sebastian Mielitz wurde beinahe vorsorglich schon verlängert.
Nicht verlängert wurde hingegen der Kontrakt von Per Mertesacker, der laut Medien auch nicht mehr verlängern will, allerdings auch schwer verkauft werden kann aufgrund seiner Verletzung. Marko Marin hingegen würde Thomas Schaaf gerne behalten, Marin selber gerne bleiben. Er ist aber derzeit der Einzige, für den ein hoher Transfererlös zu erwirtschaften wäre. Auch wenn die Boulevardsonne aus England in Hättekönnteeventuell-Spekulationen mit einer Ablöse von knapp 22 Millionen Euro hausieren geht, weil das für den Artikel besser klingt: realistisch ist diese Summe nicht. Auch ein Abgang des knapp über Grasnabe flitzenden Marins nicht.
Realistischer wäre ein solcher Transfer im Sommer 2012, der überhaupt einen nicht nur weiteren, sondern sehr großen Part im “sanften Umbruch” des SV Werder einnimmt. Nach heutigem Stand laufen 15 Verträge von Profispielern aus, dazu die Verträge des gesamten Trainerteams sowie von Klaus Allofs. Die Abwehr könnte bspw. nächstes Jahr mit Prödl, Silvestre, Fritz und Mertesacker gleich vier Spieler verlieren. Da auch drei Torhütervertrage auslaufen hält sich die Not des nächsten Jahres aber im Defensivbereich, im Mittelfeld sowie im Sturm laufen nur zwei wichtige bzw. größere Verträge aus: der von Tim Borowski sowie Claudio Pizarro.
Bei beiden Spielern gibt es eine Option zur Verlängerung um eine weitere Spielzeit. Allofs deutete bereits an, dass man diese bei Pizarro nutzen wolle. Fraglich bleibt jedoch, ob man das hohe Gehalt weiterzahlen kann. Das Gehalt wird auch der Hauptgrund bei der Optionsfrage von Borowski sein: eine weitere Spielzeit kann man sich sicher vorstellen, aber mit dem gleichen Gehalt?
Die Gehaltsfrage an sich ist eine, die derzeit auch Werderfans beschäftigt. Nach der frühen Aussage von Werder, dass man den Gehaltsetat senken wird, spekulierten Medien von Summen zwischen fünf und acht Millionen Euro, die man kommende Saison einsparen möchte. Geschätzten 8,5 Millionen Einsparungen stünden ungefähr sieben Millionen gegenüber, wenn auch Sokratis und Ignjovski kommen und Rosenberg bleiben würde. Nicht einfach, da dann auch noch die Verlängerung von Dominik Schmidt und eine weitere Innenverteidiger-Option reinzuschleusen.
Doch da wo das Milchmädchen aufhört, da wird die Milch knapp. Bis sie wieder ihre Arbeit aufnimmt. Heißt in diesem Falle: Alleine durch den fehlenden Europacup sinkt die Summe der Prämien. In den Champions League-Spielzeiten war der Spieleretat mit knapp 15 Millionen Euro pro Jahr an Prämien belastet, auf eine solche Summe wird man in der kommenden Spielzeit nicht kommen. Kann man sich dann wirklich im Verlaufe der Wochen bis zum Transferschluss noch von den “Könnengehen-Spielern” trennen, so ist man dann absolut im Rahmen, eine Summe von fünf bis acht Millionen einzusparen.
Und man bleibe auch in dem Rahmen, den viele Fans mit “Wo ist das Geld?” oder “Wir sind pleite!” beschreien. Da wird sich gewundert, wo das verdiente Geld, durch bspw. die Champions League, der vergangenen Jahre sei. Und warum die Finanzen die Verhandlungen mit Ignjovski und Sokratis so sehr beeinflussen würden. Inwiefern sie das machen ist nicht klar.
Aber ist denn klar, dass man kein Geld habe? Richtig ist das Gegenteil, was u.a. die letzte veröffentlichte Bilanz von Werder beweist. Man hat Rücklagen, Reserven oder wie auch immer man es nennen möchte. Und die sind nicht gerade gering. Der oft geäußerte Fanwunsch: Dann investiert das doch jetzt endlich alles! Nicht falsch, aber sehr kurzsichtig. Ein Teil der Rücklagen wird genommen, um den (Gehalts-)Etat zu stemmen, der ohne CL-Einnahmen auskommen muss. Dass man den Etat insbesondere bei den Spielergehältern trotzdem verkleinern will liegt nicht nur an finanziellen Zwängen, sondern auch daran, dass man sich so den Handlungsspielraum wieder erhöht. Weg von Zeiten, wo man sich einerseits als top im Preis-/Leistungsverhältnis sah, aber den zweithöchsten Etat hatte, wenn die Prämien flossen. Weg von Zeiten, wo man durch drei vier Millionen-Verdiener (Frings, Pizarro, Diego) schon eine große Hausnummer verplant hatte und deswegen nicht “einfach so” einkaufen, geschweige denn umbauen, konnte.
Geld zur Gehälterfinanzierung und auch für die Ablösen und Handgelder bei den Neuverpflichtungen. Dort ist man auf dem besten Wege, das größte Transferminus der Werder-Geschichte aufzustellen. Nötig für den Umbruch, aber auch möglich durch das Wirtschaften der letzten Jahre. Geht man von den hier genannten Transferentwicklungen aus, so wird sich das Minus irgendwo bei fünf bis sieben Millionen Euro einpendeln. Eine Summe übrigens, die ein Verkauf von Wiese oder Mertesacker wieder auf null setzen würde. Was selbst bei einer Nachfolger-Verpflichtung nicht allzu sehr beeinträchtigt würde.
Und spätestens da kommt die Fanfrage wieder, warum man nicht mehr ausgibt bzw. mehr hat. Die Antwort ist: man hat mehr, man möchte dies nur nicht ausgeben. Oder besser gesagt: nicht jetzt ausgeben. Noch besser: nicht jetzt komplett ausgeben. Sollte man dies tun, hat man eventuell eine größere Chance, in der kommenden Saison mehr zu erreichen, hat allerdings im Falle des Scheiterns ein großes Problem. Und zum Scheitern gehört dann auch schon, wenn die Mannschaft sich fängt, perspektivisch sonnige Zeiten voraussagt, aber nur Siebter wird. Dann bringt auch der hypothetische Platz drei im Folgejahr nichts, da man durch die nächste Saison ohne Champions League und Europaliga dank der Ausgaben im Vorjahr 2011 nun gezwungen wäre, Spieler zu verkaufen, um den Gehaltsetat drastisch zu senken und Transfererlöse zu erzielen.
Die Devise “Jetzt! Alles investieren!” ist daher zu kurzsichtig. In der aktuellen Lage könnte man Mertesacker und Wiese verkaufen, in dem erwähnten Szenario müsste man es tun. Und hätte auch keine gute Verhandlungsgrundlage, da man in einer Zwangssituation steckt.
Hinzu kommt, dass der “sanfte Umbruch” in diesem Jahr nicht komplett vollzogen werden kann und noch ein, vielleicht zwei weitere Sommer braucht. Und entsprechend auch Investitionsbedarf hat. Konkret für 2012 sind da neben der möglichen Kaufoption für Sokratis: ein neuer Torhüter falls Tim Wiese dann ablösefrei geht. Ein neuer Linksverteidiger, da Mikael Silvestre dann gehen wird. Ebenso ist der zweite LV-Posten fraglich, da sich Lukas Schmitz sportlich beweisen muss und nicht klar ist, ob Sebastian Boenisch nach langer Pause Leistung bringen kann – selbst wenn: bleibt er dann?
Weiter geht’s in der Innenverteidigung, wo Mertesacker ablösefrei gehen könnte. Ebenso Prödl. Auf der Rechtsverteidigerposition träumt man bei Werder von Sebastian Jung, der kostet aber eine nette Ablöse, die Clemens Fritz nicht einbringen kann, wenn er ablösefrei geht.
Im Mittelfeld wäre man vertraglich und preislich weiter gut aufgestellt, allerdings stellt sich bei Borowski, wie dann auch bei Pizarro nicht mehr die Frage nach dem Ziehen der Option, sie wären dann vom Gehalt zu teuer.
Selbst wenn die Saison 2011/2012 gut läuft braucht man im kommenden Sommer einen ordentlichen Ablöse-Etat. Einer, der Reserven benötigt, die man nicht mehr hat, wenn man sie vorher ausgibt. Mit Frings und Abstrichen Pasanen verlassen Werder zwei Stammspieler, im Folgejahr könnten sie deutlich mehr sein. Entsprechend wäre es logisch, für den kommenden Sommer ordentlich Reserven zu haben. Fahrlässig wäre es, diese nicht zu haben.
Die letzte Saison und dieser Sommer zeigen zudem nur leider allzu stark, dass man eine Planung beeinflussen kann, nicht aber den Ausgang der geplanten Dinge. Die Verletztenmisere beeinträchtigte das sportliche Abschneiden. Team- und Formkrisen kamen dazu. Am Ende bringt es wenig, wenn man Spieler verkaufen will und vielleicht sogar muss, diese aber nicht gehen wollen, verletzt sind oder keine Angebote bekommen. All dies ist keine bloße Theorie, sondern momentan Praxis. Und anhand dieser Praxis wäre es nichts Anderes als Harakiri, in diesem Sommer alle Reserven auszuschütten.
Das wäre keine Anpassung und Verbesserung der Planung, es wäre eine Verschlechterung der eigenen wirtschaftlichen Situation, kurzfristig und mittelfristig. Es wäre auf den Gehaltsetat bezogen kein flexibleres und schnelles Handeln möglich, sondern man engt sich für mehr als eine Spielzeit noch mehr ein als man es bereits war – und das, obwohl man sich lockern wollte. Es wäre für das Reagieren auf Verletzungen oder sportliche Krisensituationen eine Ohnmacht. Wenn man auf Fehler in der Vergangenheit zeigt, dann sollte man nicht Fehler für die Zukunft wünschen. Denn dann können die Neuzugänge diesen Sommer auch eine Punktladung hinlegen, sie dürften sich dann aber nicht wundern, wenn sie im nächsten Sommer ein Pilot namens Quax in den Urlaub fliegen wird.